THE KIDS ARE ALRIGHT – Sex, Drogen und Gewalt

was ist eigentlich alles gewalt?

bin ich eine schlampe?

hängst du auch mit leuten ab, die drogen verkaufen?

wo fühle ich mich sicher?

wie mache ich eigentlich slime?

was ist ein mann?

liebe, freundschaft, sex?

und wer hat die coolsten dance moves drauf?

 

youtube ohne schminktipps? instagram ohne beauty filter? mit dem vorhaben, einen youtube-kanal von und mit den grünauer kids zum leben und erleben im stadtteil zu starten, richteten wir ein videostudio im jugendclub völkerfreundschaft ein. von november 2017 bis februar 2018 wurde dort vor der kamera getanzt, gerappt, gesungen und performt, wurden interviews geführt, challenges bestanden und vieles mehr.

was dabei entstand, wurde in einer ausstellung im allee-center leipzig gezeigt.

 

 

 

November  2017 - Mai 2018

 

Offener Freizeittreff Völkerfreundschaft

Allee-Center Leipzig

Leipzig Grünau

 

das projekt wurde gefördert von der werkstatt vielfalt der robert bosch stiftung und durch den freistaat sachsen im rahmen des landesprogramms integrative maßnahmen.

weiterhin danken wir dem allee-center leipzig sowie dem saturn markt grünau für ihre unterstützung.

welchen zugang haben die grünauer kinder und jugendlichen zu sexualität, zu ihren körpern? mit welchen rollenbildern sehen sie sich konfrontiert und wie verhalten sie sich zu diesen? welche vorurteile haben sie und was wollen sie vielleicht anders als ihre eltern machen? wie viele der kids haben eigentlich keine erfahrungen mit häuslicher gewalt?

 

youtube und instagram zählen zu den wichtigsten medien von kindern und jugendlichen. nicht zuletzt weil dort jugendliche als autor*innen auftreten. auch die grünauer kids kennen unendlich viele youtube-kanäle, verbringen sehr viel zeit auf instagram. von vielen haben wir erfahren, dass sie gerne einmal youtube-stars werden würden. eine häufige begründung ist der wunsch, berühmt zu werden – und natürlich auch reich.

 

“Der Marktplatz und sein Umfeld sind seit April 2017 als „gefährlicher Ort“ eingestuft.”(LVZ, 5.1.2018)

 

die themen, mit denen die kids alltäglich konfrontiert sind, die ihre lebenserfahrung und sicher auch ihre außenwahrnehmung mit prägen, finden sich in der regel nicht in den youtube-kanälen, die sie schauen, wieder. viele der sehr jungen video-produzent*innen wachsen wohl eher im einfamilienhaus als im neubaublock auf, und mittlerweile stehen hinter den klickstärksten kanälen oft große medienunternehmen.

 

ein passenderes bild bieten da schon eher die vielen hip hop videos, die sie feiern. im gegensatz zu den erzählungen der mehrheitsgesellschaft, in denen die protagonist*innen der videos, mit denen sich auch die grünauer kids stark identifizieren, meist nicht vorkommen, dreht es sich im hip hop oft um den fehlenden platz in der gesellschaft, darum, nicht dazugehören zu dürfen oder zu können, um erfahrungen von mangel. kriminalität, drogenhandel und überbordender luxus erscheinen dabei als verheißungsvolle perspektive auf ein besseres leben. die videos versprechen einen selbstbestimmteren handlungsraum, die möglichkeit, sich etwas aufzubauen, jemand zu sein.

auf der anderen seite steht eine fülle an schminktipps- und “beziehungsratgeber”-videos. junge mädchen erlernen dort bis zur perfektion, sich “richtig hübsch” zu machen. das angebot an weiteren quellen, um ein positives selbstbild zu entwickeln oder sich anderweitig mit sich selbst auseinanderzusetzen, ist dabei gering. in den hip hop videos tauchen sie dann meist auch nur als statistinnen auf, die zwar gut aussehen aber sonst nicht viel zu sagen haben.

 

diese beobachtungen sind nur ein kleiner ausschnitt der themen aus dem projekt. sie bieten einen einblick darin, wie sich die inhalte sozialer medien und der alltag sowie die entwicklung von kindern und jugendlichen gegenseitig durchdringen.

mit dem vorhaben, erste versuche für einen youtube-kanal von und mit den grünauer kids zum leben im stadtteil zu starten, gingen wir ab november 2017 für drei monate in den jugendclub völkerfreundschaft. mit dabei hatten wir einiges an kamera-, ton- und lichttechnik und ein paar übungen, um erste erfahrungen mit dieser zu machen. am wichtigsten war uns, die kids selbst zu wort kommen zu lassen.

 

in unseren projekten ist die teilnahme absolut freiwillig. auch diesmal konnten die kids selbst entscheiden, wann und wie sie sich am projekt beteiligen (wobei wir manchmal mit etwas capri-sonne nachgeholfen haben).

 

am anfang haben wir uns viel darüber unterhalten, was die kids am liebsten auf youtube schauen, wie ihr nutzungsverhalten aussieht und natürlich was sie selber gerne einmal vor der kamera ausprobieren würden. parallel dazu sind wir in praktische übungen eingestiegen.

dafür haben wir z.b. den veranstaltungssaal der völkerfreundschaft komplett verdunkelt. nur von einem scheinwerfer beleuchtet, wurden die kids gefilmt und das bild live per beamer an die wand projiziert. alleine oder in kleinen gruppen konnten sie direkt mit ihrem videobild interagieren und experimentieren. aus diesen intensiven persönlichen momenten sind die ersten kleinen videos entstanden.

nach und nach ergaben sich immer mehr momente, in denen wir mit den kids, wieder einzeln oder in gruppen, interviews führten. sie schienen die intime situation in dem dunklen raum, in dem sich persönliches leicht(er) verhandeln ließ, sehr zu schätzen und kamen immer häufiger wieder.

ein beispiel für die zusammenarbeit mit den kids liefert folgende situation aus der mitte der projektzeit:

im abgedunkelten raum kam es zu einem spontanen gruppeninterview. mit acht kids sprachen wir u.a. über familie, stress mit den eltern, häusliche gewalt, beziehungen, sexualität und drogen.

dabei saßen immer ein bis drei kids im scheinwerferlicht und wurden von den anderen gefilmt und befragt. auch wir mussten die fragen der kids vor der kamera beantworten. als ein mädchen an der reihe war, wurde sie gleich zu anfang gefragt, ob sie eine schlampe sei. umgehend antwortete sie mit „ja“. auf nachfrage wusste sie jedoch nicht genau, warum sie eine schlampe wäre oder was genau eine schlampe sein soll. sie meinte, andere würden das zu ihr sagen. aus dieser situation heraus ergab sich eine längere diskussion. auch wenn alle beteiligten das wort meist abwertend verwendeten und/oder davon betroffen waren, wussten sie wenig genaues bzw. eher widersprüchliches dazu zu sagen. in jedem falle war das interesse an der diskussion groß.

wir beschlossen, beim nächsten projekttag weiter zu dem thema zu arbeiten. auf basis des mitschnitts der diskussion schrieben wir einen dialog für vier sprecher*innen. wir verdichteten dabei das gesagte und ergänzten es durch positionen/stimmen und informationen, die bisher noch nicht aufgetaucht waren.

eine woche später boten wir den kids an, den dialog gemeinsam zu lesen. besonders zwei mädchen, die an der diskussion beteiligt waren, nahmen dies begeistert auf. selbst nachdem wir den text mehrfach hintereinander geprobt hatten, wollten sie auch in der kommenden woche damit fortfahren. ihr engagement setzte sich über die gesamte projektlaufzeit fort. immer wieder lasen sie den dialog in wechselnder besetzung mit verschiedenen jungs. letztendlich entstand daraus das video „schlampen“.

von november bis februar haben sich mehr als 30 kids an THE KIDS ARE ALRIGHT beteiligt. sie haben vor und hinter der kamera gestanden, haben diskutiert, getanzt, kulissen gebaut, studio-sets eingerichtet und noch vieles mehr. sie brachten dabei jede menge skills und positive erfahrungen aus ihrem alltag in das projekt mit ein. dies zeigte sich am spaß beim tanzen, singen, rappen und schauspielen und ihren selbst entwickelten choreographien, ihrem genauen gespür für die inszenierung von video-challenges, ihrer offenheit und neugierde bei den interviews oder ihrem interesse am ausprobieren und dem verantwortungsvollen umgang mit der technik.

parallel zum projekt schnitten wir aus dem stetig entstehenden materiel kurze videoclips, die zusammen angeschaut, diskutiert und durchaus hart kritisiert wurden. wenn es schließlich das „ok“ der kids gab, veröffentlichten wir sie auf youtube und instagram.

in den gesprächen und diskussionen zeigte sich aber auch, dass die kids einiges an problematischen erfahrungen mitbringen. dies findet sich in vielen der entstandenen videos wieder. spürbar war dies auch in ihrem anfänglich oft rauen umgang untereinander sowie gegenüber uns, in ihren häufig negativen selbstbildern und zweifelnden blicken in die zukunft. dabei gingen die abwertung anderer, wünsche nach anerkennung und liebe und die abwertung von sich selbst oft hand in hand.

 

umso schöner war es, immer wieder sehen zu können, wie die kids, wenn sie anerkennung für ihre auseinandersetzungen erfahren, beginnen zu wachsen und sich zu engagieren – und dabei sich, die anderen und den gemeinsam geteilten raum mehr und mehr wertschätzen. eine atmosphäre des gegenseitigen vertrauens ist hierfür unersetzlich. nicht zuletzt dadurch, dass viele kids schon bei früheren greater-form-projekten mit dabei waren, ließen sich vertrauensverhältnisse zu uns, aber auch zwischen den kids, leichter herstellen. kids, mit denen wir bereits früher zusammenarbeiteten, brachten freund*innen mit und diese aktivierten weitere…

 

erneut konnten wir feststellen: kinder und jugendliche wollen sich produzieren, sich öffentlich zeigen, wollen wahrgenommen werden. auch haben sie alle lust, sich an etwas zu beteiligen oder zumindest erst mal dabei zu sein, sich zu engagieren, etwas zu lernen, sich zu entwickeln. ihre jeweiligen wege sind dabei sehr unterschiedlich. damit jede*r von ihnen einen persönlichen zugang findet bzw. eigenes interesse entwickeln kann, braucht es raum und zeit.

 

es braucht verhandlungsräume, die den bedürfnissen der kids entsprechen, die ihre erfahrungen und auch ihre umgangsweisen ernst nehmen, die sie als vollwertige personen anerkennen.

 

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          O

        U

      T

    U      C

  B            H

E                  A

                        N

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                               E

                                   L

 

GREATER FORM – INSTAGRAM

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